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Nachtportier

123

Ein kurzes Lebenszeichen, nun, da sich der erste Teil meiner Behandlung dem Ende zuneigt (morgen). Dann kann ich mich hoffentlich auch wieder komplexeren Geschichten widmen.

Ich stellte den Champagnerkühler auf dem kleinen Tisch neben dem Eingang ab. Sie saß auf dem Sessel, in ihrem wahrscheinlich schicksten Kleid. Sie versuchte, jeden Ausdruck in ihrem Gesicht zu unterbinden und an mir vorbeizusehen.

„Tun Sie es nicht", änderte ich das.

Ihr Kopf ruckte sofort herum, ihre Augen minimal aufgerissen, der leicht geöffnete Mund zeugte von ihrer Überraschung.

„Was... meinen Sie?"

„Sich das Leben zu nehmen."

Zwanzig Jahre arbeitete ich in diesem Hotel. Dem exklusivsten, teuersten der Stadt. Die letzten fünfzehn davon an der Rezeption. Man entwickelt einen Blick dafür. Sie gehörte nicht in dieses Hotel. Der Preis einer Übernachtung in der von ihr gebuchten Suite war wahrscheinlich ein Vielfaches ihrer Monatsmiete.

Es geschieht erstaunlich oft, dass Leute ihren Abflug aus dem Leben erster Klasse antreten wollen. Als ob das für irgendwas kompensieren könnte. Ich erinnerte mich an jeden einzelnen davon, wenn ich sie in meiner Schicht kennengelernt hatte.

Echte Verzweiflung lässt sich nicht verstecken. Man kann sie überspielen, der eine besser, der andere schlechter. Als ich das erste Mal voraussagen konnte, dass ein Gast denselben Plan gefasst hatte, geriet ich in eine kleine Gewissenskrise.

Sollte, musste ich agieren? Die Tat verhindern? Mit welchem Recht? Oder aufgrund welcher Pflicht? Davon stand nichts in meinem Arbeitsvertrag. Ich hatte daher niemals interveniert. Jeder hat ein Recht, mit seinem Leben zu tun und zu lassen, was er will.

Inklusive die Lebensspanne zu bestimmen. Das war meine Einstellung gewesen. Bis sie anrief und eine letzte Flasche Dom Pérignon orderte. Bis zu dieser Frau, deren Gesichtsausdrücke zu schnell wechselten, um die Emotionen darauf richtig ablesen zu können.

Das Endresultat war verzweifelte Hoffnung, mit Verzweiflung dominant.

„Man sieht es mir an", folgerte sie sehr richtig nach langem Schweigen.

„Ja. Ich sehe es öfter. Manche ziehen es am Ende nicht durch, oder nur stümperhaft. Das ist die Minderzahl, die meisten tun es doch. Sie würden es richtig zu Ende bringen, aber in Wirklichkeit wollen Sie es gar nicht tun. Ich mische mich normalerweise nicht ein. Aber das wäre ein irreversibler Fehler, den Sie dort machen."

„Das können Sie nicht beurteilen."

„Doch, wie tragisch und dunkel Ihr Leben bislang verlaufen sein mag, wie viel Schmerz Sie nun endgültig glauben, nicht mehr ertragen zu können, es ist zu früh. Das Leben hält noch anderes für Sie bereit. Hinter der Dunkelheit ist Licht."

Ja, sie wollte das glauben. Aber nun kamen die Tränen. Ein haltloser Weinkrampf. Ich setzte mich auf die Lehne, legte meinen Arm um sie und verschaffte ihr die menschliche Erdung, die sie in diesem Moment mehr als alles andere brauchte.

Drückte sie sanft an meine Brust. Mir war klar, dass ich sie in dieser Nacht nicht allein lassen konnte. Es war mir klar geworden, als ich den Entschluss fasste, ihr den Champagner selbst heraufzubringen, statt Daniel zu schicken. Der hielt jetzt für mich die Stellung für den Moment. Das war keine Lösung.

Sie hatte sich etwas beruhigt. Nun musste ich handeln.

„Verzeihen Sie, ich muss kurz telefonieren. Nein, keine Angst, ich rufe nicht die Polizei oder einen psychologischen Notdienst. Ich muss nur meinen Posten unten anderweitig besetzen", erklärte ich mit sanfter Stimme.

Sie sah mich zum ersten Mal wirklich an.

„Sie sind... der Rezeptionist."

„Nachtportier, ja. Entschuldigen Sie bitte für einen Moment. Jonathan? Du musst kurzfristig meine Schicht übernehmen. Ich weiß. Es ist wichtig. Na, quitt sind wir deshalb noch nicht. Am besten sofort. Das erkläre ich dir hinterher. Daniel ist unten, ich kann hier nicht weg. Danke."

„Warum tun Sie das?"

„Damit Sie nicht allein sind."

„Und wenn ich das sein möchte?"

„Dann wären Sie nicht hier. Ich bin nicht der, den Sie sich wünschen, aber der, der da ist. Er ist es nicht und damit ist er es nicht wert. Das zu tun, was Sie tun wollen. Oder zu wollen glauben."

„Sie können mich nicht davon abhalten."

„Nein, das kann ich nicht. Das können nur Sie selbst."

„Antonio", erinnerte sie sich an meine Namensnennung beim Einchecken zu Beginn meiner Schicht.

„Das ist mein Name. Meine Mutter ist Italienerin, aus Südtirol. Mein Vater war Deutscher."

„Ich... liebe Italien."

„Das geht mir nicht anders, Konstanze. Italien ist der Inbegriff der Schönheit, das Sinnbild des pulsierenden, aus sich selbst quellenden, fekunden Überflusses des Lebens. Wenn du Italien liebst, liebst du genau das", riss ich die Förmlichkeit aus unserem Gespräch.

„Es ist nur eine schöne Erinnerung. Eine blasse Erinnerung."

„Wie alles für dich im Moment. In der Dunkelheit ist selbst das strahlendste Licht nur eine vage Erinnerung. Das heißt nicht, dass es aufgehört hat, zu existieren."

„Wie machst du das, Dinge so selbstverständlich auszudrücken?"

„Ich gebe mir keine Mühe. Dann erklären sie sich meist von selbst. Soll ich dir den Champagner aufmachen?"

„Ich... weiß nicht."

„Du machst dir Gedanken, was er kostet. Wundervoll. Darauf sollten wir ein Gläschen trinken. Keine Angst, du wirst ihn nicht auf deiner Rechnung finden. Ich lade dich ein."

„Das kann ich doch nicht annehmen... ich... so viel kannst du doch hier nicht verdienen."

„Geld hat für mich nur eine Bedeutung, wenn ich es sinnvoll nutzen kann. Das ist seltener der Fall, als du denkst."

„Warum... ich verstehe nicht."

„Das musst du nicht. Bitte schön. Trink. Aber die Tabletten dazu lass bitte weg."

„Woher weißt du...?"

„Das ist nicht wichtig. Ein bisschen enttäuschend, nicht wahr? Schon einzigartig und edel, aber irgendwie hatte man mehr erwartet, oder?"

„Ja, das habe ich gerade auch gedacht", erwiderte sie mit dem Hauch eines Lächelns.

„Das ist mit vielen Dingen so. Eigentlich müsste man einfach nur gar nichts erwarten, oder nichts werten, dann ist alles ein Erlebnis, alles ein Geschenk. Aber wer kann das schon."

„Wer bist du? Der Yoda der Nachtportiere?"

„Erkannt sie mich hat, junge Skywalkerine."

Sie erschrak über ihr Lachen. Danach sollte ihr nicht sein. Verwirrt sah sie mich an.

„Wie..."

„Denk nicht drüber nach. Warum auch. Du wolltest dein Leben beenden. Das ist dir für einen Moment gelungen. Für einen Moment begann ein anderes für dich."

„Als ob das so einfach wäre."

„Es ist so einfach, dass niemand das zu erkennen scheint. Darum versuchen sie in jedes neue noch das alte mit herüberzuretten. Die Frage ist, ob das wirklich notwendig oder wünschenswert ist."

„Hör auf, Sinn zu machen."

„Hör auf, welchen zu suchen."

„Du lässt mich einfach nicht aus diesem Gespräch. Ist das deine Taktik? Weil ich mich vollständig auf deine Rede konzentrieren muss, schaffe ich es nicht, mich meinem Vorhaben zu beschäftigen, nicht mal gedanklich?"

„Das hast du längst aufgegeben. Die Tür hast du dir bereits selbst geöffnet. Jetzt musst du nur noch hindurchgehen."

„Da ist nichts auf der anderen Seite."

„Falsch. Das war da, wo du ursprünglich hinwolltest. Auf der anderen Seite bin zunächst einmal ich."

Hoffentlich bemerkte sie ihr Lächeln nicht. Es war zu schön, um zurückgezogen zu werden.

„Und wer bist du?"

„Der Nachtportier, wer sonst?"

„Das soll mir alles sagen, was ich wissen will?"

„Das soll dir sagen, dass du wissen willst. Interessant, dass der Champagner langsam besser schmeckt, nicht wahr?"

„Hör doch endlich mal auf, dauernd recht zu haben."

„Schrecklich, nicht wahr? Nachher fängst du noch an, mir zu vertrauen."

„Du denkst, ich möchte das?"

„Ich denke, du willst das."

„Mir tun die armen Frauen leid, mit denen du flirtest. Die haben ja nicht die mindeste Chance."

„Es könnte hilfreich sein, dass du das jetzt schon erkennst."

Sie schüttelte amüsiert den Kopf.

„Es läuft nicht ganz nach Plan, hm? Nicht wirklich, was du dir von diesem Abend versprochen hast, oder? Und es ist nicht mal enttäuschend."

„So sicher bin mir da noch nicht."

„Ach, das bist du schon. Ich mag dein Kleid übrigens. Steht dir ausgezeichnet. Es ist dein Lieblingskleid, nicht wahr?"

„Ja, natürlich. Es wird dich freuen, zu hören..."

„Dass es aus Italien stammt. Wo bist du dort gewesen?"

„Rom. Neapel. Capri. Palermo."

„Da hast du schon Schönes gesehen, aber es gibt noch so viel mehr. Möchtest du noch ein Glas?"

„Ja gerne. Es muss doch sicher unbequem für dich auf der Lehne sein. Du kannst dich ruhig auf den anderen setzen."

„So schnell ist noch keine Frau meiner Nähe überdrüssig geworden. Aber wenn es wirklich nur um meine Bequemlichkeit geht, könnten wir auch gerne aufs Bett."

„Das hast du jetzt nicht gesagt, oder?"

„Dich darauf aufmerksam gemacht, wie bequem es dort ist? Doch. Irgendwas impliziert? Noch nicht."

„Belasse es mal beim nicht."

„Warum belassen wir es nicht einfach dabei, dass wir es uns auf dem Bett bequem machen? War das nicht deine ursprüngliche Idee gewesen, dort zu ruhen?"

„Nicht unbedingt mit einem fremden Mann."

„Und nicht unbedingt lebendig. So fremd bin ich doch schon gar nicht mehr. Übrigens nennen mich meine Freunde Toni."

„Du bietest mir deine Freundschaft an?"

„Ich biete dir meine Gesellschaft an. Was du daraus machen willst, bleibt dir überlassen. Stört es dich, wenn ich schon mal vorgehe, aufs Bett, meine ich, während dir bewusstwird, dass du das möchtest?"

„Toni, ich..."

„Komm, meine Freunde haben keine Angst vor mir", eröffnete ich ihr, während ich ganz ruhig aus meinen Schuhen schlüpfte und mich aus dem Sitzen nach hinten fallen ließ. „Ah. Herrlich. Bringst du den Champagner mit, wenn du kommst?"

„Sollte das nicht das Hotelpersonal machen?"

„Ich bin außer Dienst. Was auch immer jetzt geschieht, ist weder im Service inkludiert, noch wirst du es morgen auf der Rechnung finden."

„Es wäre auch unfair für nichts etwas zu berechnen, denn genau das wird geschehen."

„Bist du dir da so sicher?"

„Momentan bin ich mir nur sicher, dass du der ungewöhnlichste Mann bist, der mir je begegnet ist."

„Ich finde es gut, dass du dir diese kleine Restunsicherheit zugestehst. Das ist ein gutes Zeichen. Nicht für mich, für dich. Du erkennst, dass du sehr wohl noch am Leben bist. Hm. Ich glaube, schlafen könnte ich in diesem Bett nicht, wahrscheinlich hat wieder irgendeiner eine Erbse unter die Matratze gepackt. Danke, dir Konstanze. Auch für dein Lächeln."

„Ich... hoffe nur, dass du nicht glaubst, ich will dir jetzt erzählen, was mich hierher gebracht hat."

„Nein, das ist nicht wichtig. Es wäre es, wenn du es wolltest. Aber es gehört zu dem Leben, das du beenden wolltest. Jetzt bist du schon mitten in dem Danach."

„Und du glaubst, ich könnte das einfach so hinter mir lassen, einfach vergessen?"

„Natürlich nicht. Einfach ist nichts daran. Aber du wirst es hinter dir lassen. Das tun wir mit allen Erfahrungen, positiven wie negativen. Wir versuchen einfach, die positiven so lange wie möglich zu erhalten und die negativen so lange wie möglich zu vermeiden. Beides gelingt uns selbstverständlich nicht. Was uns letztlich doch immer wieder gelingt, ist, sich auf das gerade tatsächliche Geschehen zu fokussieren. Das ist natürlich leichter, wenn es besonders absorbierend, besonders emotional oder stimulierend ist."

„Wie beim Kennenlernen eines sehr ungewöhnlichen Fremden."

„Würde ich vermuten. Empfindest du mich nur als stimulierend oder emotional ansprechend?"

„Ich empfinde dich vor allem als wirklich verwirrend."

„Darüber hinaus als attraktiv?"

„Ich empfinde nichts und niemanden mehr als attraktiv. Darum bin ich hier."

„Darum warst du hier. Es hat sich aber etwas geändert. Was?"

„Du laberst mir eine Kante ans Bein. Und trinkst Champagner mit mir im Bett."

„Ich kann auch still sein. Wichtig ist nur, dass ich hier bei dir bin."

Sie sah mich stirnrunzelnd an und trank ihr Glas leer.

„Aber warum? Was geht dich mein Leben oder sein Ende an?"

„Es würde mich gar nichts angehen, wenn du nicht beschlossen hättest, einige Momente davon mit mir zu teilen. Weil ich dich anders anspreche, als du es gewohnt bist. Nicht dem entspreche, was du erwartest oder zu kennen glaubst."

„Und warum? Warum tust du das, dich mit mir abzugeben?"

„Ich empfinde deine Gegenwart als sehr stimulierend. Und dich als sehr attraktiv."

„Das kann ich nicht wirklich glauben. Es sei denn, du hast irgendeinen morbiden Fetisch."

„Welchen Grund könnte ich denn haben, dir etwas vorzumachen?"

„Die Frage war vielleicht unklug, weil mir jetzt gerade wieder bewusstwird, dass wir nebeneinander im Bett liegen. Wahrscheinlich bin ich damit genau da, wo du mich haben wolltest."

„Also glaubst du doch, dass ich dich als stimulierend und attraktiv empfinde. Oder erwecke ich den Eindruck, ich würde mit jeder Frau ins Bett gehen?"

„Deshalb sage ich ja, wahrscheinlich irgendein morbider Fetisch. Macht es dich an, mit einer Selbstmörderin zu... spielen? Vielleicht der letzte Mann ihres Lebens zu sein?"

„Ich spiele nicht mit dir. Bislang nicht einmal mit dem Gedanken, der letzte Mann deines Lebens zu sein. Wenn das sich so entwickeln würde, dann hoffentlich anders als du es jetzt meinst. Es geht mir nicht darum, mit dir zu schlafen, wenn das deine Sorge ist. Einfach nur bei dir zu sein. Das heißt, wenn du Lust bekommst, mit mir zu schlafen..."

„Das können wir ausschließen."

„Meinst du? Na, dein altes Ich würde so etwas natürlich nie tun. Oder hat es getan und dafür büßen müssen."

„Es ist absurd, in meiner Situation an so etwas auch nur zu denken."

„Finde ich nicht, also schäme dich nicht für deine Gedanken. Es ist eine Option von vielen. Nutze die, mit denen du dich wohlfühlst. Du bist froh, dass ich jetzt bei dir bin, oder?"

Sie schwieg einen Moment und sah mich verunsichert an. Seufzte dann.

„Ja, schon."

„Du hast vorhin meine Nähe genossen. Es spricht nichts dagegen, dass du dich ankuschelst. Ich werde es nicht falsch verstehen und nicht auszunutzen versuchen. Vertrau mir."

Sie seufzte. Rückte erst nach einer ganzen Weile näher an mich heran. Ließ es zu, dass ich meinen Arm um sie legte.

„Warum sollte ich das tun? Dir vertrauen?"

„Weil es wichtig ist, dass du begreifst, es weiterhin zu können. Nach allem, was du durchlitten hast, nichts mehr möchtest als das."

„So... gut mir das in diesem Moment auch tut..."

„Du denkst an morgen früh, wenn du das Hotel verlassen musst. Neben einer Rechnung, an der du wahrscheinlich eine Weile knabbern musst, wenn ich das richtig einschätze, nimmst du aber vielleicht genau das mit. Du willst leben, du willst Menschen weiterhin vertrauen und du wirst erleben, dass du das kannst."

„Meinst du, es würde mein Leben positiv verändern, wenn ich aus dieser Erfahrung ziehe, dass ich eventuell Nachtportieren vertrauen kann?"

„Um Gottes willen, bloß nicht, mindestens die Hälfte unserer Zunft ist auf die eine oder andere Art schwer gestört. Aber mir kannst du vertrauen. Ich werde auch noch für dich da sein, wenn du dieses Hotel verlässt, wenn du das möchtest."

„Das kannst du unmöglich ernst meinen. Und ich möchte niemanden zur Last fallen, kein Sozialprojekt oder die gute Tat für die Karma-Politur sein."

„Was für ein Unsinn, zur Last fallen. Ich fühle mich von dir angezogen. Von dir als Mensch und tatsächlich auch als Frau. Aber darum geht es gar nicht. In diesem Moment ist es für dich eine Erleichterung, dass ich da bin. Erlebst du meine Gegenwart als angenehm und wohltuend. Damit das völlig klar ist: genauso geht es mir auch. Ich habe kein Motiv, keinen übergeordneten Antrieb. Ich denke über Dinge nach, aber nicht über so etwas Selbstverständliches wie für jemanden da zu sein, wenn ich es kann."

„Das klingt zu allem Überfluss auch noch ehrlich. Oder soll es mich davon ablenken, dass du angefangen hast, mich zu streicheln?"

„Entschuldige, ein Reflex. Keine bewusste Handlung. Es ist dir unangenehm?"

Sie seufzte und kuschelte sich noch etwas enger an mich.

„Nein, ist es nicht. Wenn es nicht ausartet. Vielleicht machst du die Handlung besser bewusst."

„Ja, es darf auf keinen Fall dahin ausarten, dass du es wirklich magst und dir wünschst, dass ich dich noch anders berühre. Dich küsse. Und was auch immer sonst du dir nie zugestehen könntest."

„Das hast du schön zusammengefasst. Und ich habe beschlossen, dir zu vertrauen. Tut das deine Frau oder Freundin gerade auch?"

„Das könnten sie, wenn es sie geben würde. Das tut es nicht. Du denkst schon über eine Beziehung mit mir nach? Das ging schnell."

„Sehr witzig. Und sehr bedenklich. Dann stimmt irgendwas Gravierendes nicht mit dir."

„Ich bin Nachtportier."

„Das soll meine Frage beantworten?"

„Mindestens zehn von vierzehn Nächten müsste eine potenzielle Partnerin allein verbringen. Das ist weit weniger attraktiv für die meisten Frauen, als du dir das vorstellen magst."

„Oh. Das macht Sinn. Dir ist klar, dass es deinen Job auch in Tagschicht gibt?"

„Es ist nicht dasselbe. Ich bin gerne Nachtportier. Ich hatte noch keinen Grund, mein Leben für jemand anderen umzustellen."

„Oder überhaupt ein Leben zuzulassen."

„Du musst reden."

„Vielleicht ist mein Ansatz einfach ehrlicher."

„Er ist final und irreversibel. Mein Ansatz ist flexibel. Jederzeit änderbar, wenn es einen triftigen Grund gibt."

„Du hast wahrscheinlich unmögliche Ansprüche an eine Partnerin."

„Das auch, sie muss außergewöhnlich viel Spaß am Sex haben, gutes Essen über sich ergehen lassen können, nicht vor Kultur zurückschrecken und notfalls die anderer Länder kennenlernen. Das Schlimmste aber ist, dass sie sich gerne und stundenlang über alles unterhalten können muss oder vielmehr will. Oder sich mal Stunden in absoluter Stille wohlfühlen."

„Warum außergewöhnlich viel?"

„Weil das für meine gewünschte Frequenz und Intensität so zutrifft."

„Was für ein merkwürdiger Zufall, dass wir über Sex reden, während du völlig unauffällig meinen Hintern streichelst."

„Ist dir doch aufgefallen. Außerdem ist das nur ein Zwischenstopp, ich ziehe gleich zu deinen Schenkeln weiter."

„Ich glaube, sie wären dort nicht so willkommen, wie du dir das einbildest."

„Oder willkommener als du das zugeben könntest. Aber ich habe dir gesagt, dass du mir vertrauen kannst. Also finden wir das nicht heraus, da du es vorgeblich nicht möchtest. Ich möchte, dass du dich weiterhin wohlfühlst."

„Gibst du dich immer so schnell geschlagen?"

„Nur, wenn ich das Gefühl habe, dass es echte Ängste gibt, die ich respektieren muss. Dein Gesicht zu streicheln ist okay für dich?"

„Ja. Meinetwegen auch mein Haar. Das... mag ich sogar besonders gern."

„Es erinnert dich an eine glückliche und sorgenfreie Zeit. Dein Vater?"

„Woher... wahrscheinlich sagst du dann ‚ich bin ein Nachtportier'."

„Diesmal nicht. Es ist nicht so ungewöhnlich. Du hast schönes Haar, sehr fein und seidig. Du vermisst deinen Vater sehr, nicht wahr?"

„Ja und nein. Manchmal kann ich mich nicht einmal mehr an sein Gesicht erinnern. Dabei war ich elf, als er starb."

„Das tut mir leid. Und deine Mutter?"

„Vor zwei Jahren. Nach langer, schwerer Krankheit. Von der ich nichts wusste, bis einige Wochen vor ihrem Tod."

„Das war mit meinem Vater ähnlich. Na, er hatte seine Krankheit vor uns allen verborgen. Sogar meiner Mutter."

„Sie lebte in Süddeutschland, wir sahen uns kaum noch, nachdem ich... ich habe mit neunzehn geheiratet. Mit sechsundzwanzig war ich dann geschieden."

„Keine gute Ehe."

„Nein, keine gute Ehe. Und keine guten Beziehungen danach."

„Dann wäre es ja mal so langsam Zeit für eine."

„Ich ging eher davon aus, dass es erwiesen war, dass es die für mich einfach nicht gibt."

„Es freut mich, dass du davon in der Vergangenheitsform sprichst."

„Du hast recht, es heißt: Ich bin."

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