Haus Schwarzenburg - Kapitel 05

Isabella gab Mathias artig und sehr zurückhaltend die Hand. Er lächelte sie mit seinem breitesten Lächeln an. Isabella gefiel ihm auf Anhieb. Verstohlen musterte er den knabenhaften Körper der jungen Frau. Schlank wie eine Reitgerte, zu einem Rossschwanz gebundene, lange, schwarze Haare, ein ebenmäßiges Gesicht und herrliche grüne Augen. Die Hand, die er einen Augenblick zu lange hielt, war ebenfalls schlank, aber von überraschender Kraft. Diese grazil aussehende Frau konnte offenbar auch zupacken, wenn es sein musste. Mathias bemühte sich, nicht allzu offensichtlich zu starren.

"Na toll, noch so eine Unschuld vom Lande." Milena war nicht so erbaut von ihr. "Ist auch fast nichts dran an ihr, nur Haut und Knochen."

Mathias dagegen war interessiert. "Sie sind also vom Bau? Das trifft sich gut. Ich habe da ein Problem, darf ich Sie damit belästigen?"

"Natürlich, gerne, aber ich schreibe die Stunden auf."

"Das ist fair. Kommt bitte mit, es ist hinter dem Haus."

Sandra hatte bemerkt, dass Mathias von Isabella beeindruckt war, und ein Stich der Eifersucht bohrte sich durch ihre Brust. Als sie allerdings ums Haus gingen, und Mathias ihr seinen Arm um die Hüften legte, während Isabella alleine hinterhertrotten musste, beruhigte sie sich wieder.

Hinter dem Haus angekommen, bestiegen sie gemeinsam das Dach des Generatorhäuschens. Mathias leuchtete mit seiner Lampe in den Schornstein.

"Ich möchte wissen, was da unten ist."

Isabella spähte ebenfalls in den schwarzen Abgrund. "Papa hat eine Rohrinspektionskamera, die könnten wir hinunterlassen. Aber es geht noch einfacher. Ich bin eine sehr gute Kletterin, und krabble gelegentlich auch durch noch engere Kanalrohre. Ich könnte, wenn ihr mich von oben sichert, hinuntersteigen."

"Bist Du dir sicher, dass du da hinunterkannst?" Manfred sah Isabella zweifelnd an.

"Ja klar. Es ist sehr eng, und ich kann mich schlecht abstützen. Aber ich habe eine Idee. Auf Papas Auto liegen ein Seilzug und ein Dreibein. Er verwendet das manchmal zur Inspektion von Kanalschächten. Das Seil dürfte lang genug sein. Ich hänge mich daran, und ihr lasst mich hinunter."

"Ist das nicht gefährlich?" Sandra war besorgt um die Sicherheit ihrer Nichte.

"I wo. Außerdem habe ich einen Helm im Auto. Kommt, macht schon, ich habe Lust auf ein Abenteuer."

Mathias und Sandra stimmten zu, und Isabella fuhr das Bauauto neben das Generatorhäuschen. Gemeinsam bauten sie Dreibein und Seilzug auf, und statteten Isabella mit einem affigen gelben Bauhelm mit Stirnlampe aus. Dann hängte sich Isabella an das Seil, und wurde in den Schlund hinabgelassen. Ihr schlanker Körper passte gerade so durch, und sie sank unter dem Klackern des Seilzuges immer tiefer hinunter. Schließlich ließ der Zug am Seil nach, sie war unten.

"Siehst du etwas?"

"Zieht mich wieder hoch. Hier ist etwas, ganz unten. Ich kann mich aber nicht bücken. Ich gehe besser mit dem Kopf voran."

Isabella wurde wieder heraufgezogen, Mathias befestigte das Seil an ihren Fußgelenken, und er und Sandra ließen Isabella wieder hinunter.

"Siehst du jetzt etwas?"

"Es ist ziemlich dreckig hier. Und von der Seite kommt ein niedriger Gang herein. Moment, ich leuchte hinein."

Ein gellender Schrei drang aus dem Schacht.

"Isabella?"

"Zieht mich sofort hoch. Da ist etwas."

"Was ist es?"

"Es ist ein menschliches Skelett. Zieht mich sofort hoch!"

"Nur einen kleinen Moment noch. Hat es sich bewegt?"

"Nein."

"Dann ist es zwar ein Skelett, aber ungefährlich. Nimm dich bitte einen Augenblick zusammen, wir sind nicht so weit gekommen, um uns wegen ein paar Knochen ins Hemd zu machen. Kannst du dein Handy erreichen?"

"Ja."

"Dann mach bitte ein paar Fotos, und dann ziehen wir dich hoch."

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Mathias, Sandra und Isabella sahen sich die Fotos auf Isabellas Handy an.

Auf den Fotos konnte man das Skelett einer auf einer Art Bahre liegenden Leiche erkennen, eingesperrt in einer pechschwarzen, von rostfarbenen Mäandern durchzogenen Röhre.

"Was ist hier nur passiert, es schaut schrecklich aus."

Sandra zoomte das Foto größer, neben dem Schädel sah man den Brustkorb liegen, aber irgendetwas war seltsam. Das Brustbein fehlte völlig, die Rippen waren alle in einem grotesken Winkel aufgespreizt, viele abgebrochen. Mathias zählte zwei und zwei zusammen.

"Ich weiß, was das ist. Das ist der Ofen eines Krematoriums. Und das Skelett, das ist Magda."

Mathias erzählte Sandra und Isabella von Magda, und von seinem Großvater Helmfried. Nicht in allen Details, natürlich, sondern eine angepasste Version.

"Und er hat in seinem Keller Leichen seziert?"

"Ja, er wollte mehr erfahren über den menschlichen Körper, als in den damaligen Büchern zu lesen war. Aus den Ergebnissen hat er sich dann die Grundlagen der Organtransplantation erarbeitet. Er selbst hat den Krieg nicht überlebt, aber andere Ärzte haben auf seinen Ergebnissen aufgebaut. Unzählige Menschen mit Spenderorganen verdanken ihm und in gewissem Sinne auch Magda ihr Leben."

"Was wollen wir nun tun? Die Polizei verständigen?"

"Die haben besseres zu tun, als siebzig Jahre alte Leichen zu bergen. Isabella, würdest du nochmal dort hinuntersteigen? Wir wollen Magda heraufholen, und sie in geweihter Erde bestatten. Das klingt jetzt eventuell etwas komisch, aber lasst sie uns in einen Eimer füllen. Die Polizei würde es ebenso machen."

Isabella schauerte bei dem Gedanken, noch einmal zu Magdas Leiche hinunter krabbeln zu müssen, aber eine innere Stimme sagte ihr, dass es ungefährlich war, und dass es ein gutes Werk war, der Toten die letzte Ehre zu erweisen. Das sei ihr letzter, sehnlichster Wunsch gewesen, und wenn er erfüllt sei, könne sie ihre Ruhe finden.

Mathias und Sandra sahen Isabella erwartungsvoll an. Widerstrebend stimmte Isabella zu.

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Isabella zwängte sich in die runde Feuerkammer. Sie hatte Scheu, das Skelett zu berühren, und drückte sich eng an die eiserne Wand geschmiegt daran vorbei. Schließlich lag sie parallel dazu. Sie hatte einen Augenblick die morbide Vorstellung, wie das Skelett nach ihr greifen und sie in seine Arme ziehen könnte, aber sie schob den Gedanken sofort beiseite. Sie fasste zögernd den blanken Schädel an, er fühlte sich glatt und kalt an. Isabella nahm sich ein Herz, schob ihn in den Eimer, und den wiederum durch den Zugang in den Kaminschlot Dann zupfte sie am Seil, und der Eimer wurde nach oben gezogen.

Innerhalb der nächsten Minuten räumte Isabella Stück für Stück die Bahre frei, am Ende ließ sie sich einen Handfeger herunterschicken und fegte Magdas Aschereste zusammen. Solchermaßen ausgeräumt hatte die Kammer den Großteil ihres Schreckens verloren, und Isabella begutachtete die dem Schornstein gegenüberliegende Wand, wo sie einen Zugang vermutete. Tatsächlich fand sie dort eine runde, mit einem schweren gusseisernen Deckel verschlossene Öffnung. Sie drückte dagegen, sie trat dagegen, aber der Deckel bewegte sich nicht.

"Ich brauche schweres Werkzeug!", rief sie nach oben. "Fäustel, Stemmeisen, und eine kleine Brechstange."

Mathias schickte ihr das Gewünschte hinunter, und sie begann, den Deckel zu bearbeiten. Er hielt eine Weile stand, aber dann flog die Verriegelung scheppernd in den Raum dahinter. Isabella trat gegen die Türe, und sie schwang quietschend auf. Im tanzenden Schein ihrer Taschenlampe sah sie in einen leeren, gegenüber von einer geschlossenen rostigen Blechtüre begrenzten Raum. Direkt vor dem Ofen standen die Reste eines Eisengestells, das ehemals mit Rädern fahrbar gewesen war. Der Wand entlang standen noch mehr davon, dazwischen niedrige Schubkarren, verrostete Überreste von Eimern, Schaufeln, Besen und allerlei anderen Gerätschaften, wie man sie offensichtlich zur Reinigung des Ofens benötigte.

"Kannst du weiter?"

"Ja, ich denke schon. Aber ich werde das Seil abmachen müssen."

"Schau mal auf dein Handy, funktioniert der Kompass?"

"Ja, er scheint zu gehen."

"Dann geh jetzt etwa dreißig Meter in südwestlicher Richtung. Nach etwa dreißig Metern schaust du dir die Wände ganz genau an. Es müsste Stellen geben, wo man Vermauerungen sehen kann, die jünger aussehen als die anderen Wände. Nimm deinen Fäustel und schlage dagegen. Ich versuche, dir von der anderen Seite entgegenzukommen."

"Ist gut." Isabella stieg aus dem Ofen, und ging zu der Metalltüre. Wieder musste das Brecheisen helfen, aber dann gelang es ihr, die Türe kreischend in ihren verrosteten Angeln zu bewegen, ein Spalt bildete sich, und als er endlich breit genug war, schlüpfte Isabella hindurch in den nächsten Raum.

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Mathias rannte um die Villa herum, während Sandra für Notfälle am Seilzug auf dem Generatorhäuschen zurückblieb. Aus dem Bau-Auto hatte er sich einen Vorschlaghammer mitgenommen. Eilig lief er durch das Portal in die Villa, öffnete die Türe zum Keller, und stieg hinunter. Schon oben hörte er deutliche, schnelle Klopfgeräusche.

"Beeil dich, sie ist in Panik, sie will da nur noch irgendwie raus."

Mathias durchquerte den vorderen Raum, und betrat den hinteren, wo er das Klopfen deutlich lauter wahrnahm. Prüfend fuhr er mit der Handfläche die Wand ab, und als er Vibrationen spürte war er sich sicher, die richtige Stelle gefunden zu haben. Er hob seinen Vorschlaghammer, und ließ ihn mit voller Wucht gegen die Wand krachen. Sie hielt stand, nur ein wenig Putz platzte ab. Das würde ein schönes Stück Arbeit werden, Mathias verwünschte Isabellas Großvater, der hier offenbar ganze Arbeit geleistet hatte.

Immer wieder ließ er den schweren Hammer gegen die Wand knallen, immer auf dieselbe Stelle zielend. Dort kam langsam ein großer, vermauerter Bruchstein zu Tage, und bei jedem Treffer platzen kleine scharfkantige Splitter ab und spritzen Mathias gegen die Hosenbeine. Mit der Zeit zeigten seine Schläge Wirkung. Dem Stein konnte er nicht viel anhaben, aber in der umgebenden Mörtelfuge zeigten sich erste Risse, kleine Brocken lösten sich und kullerten Mathias vor die Füße. Der Stein begann sich leicht zu bewegen, und immer, wenn ihn Mathias mit brachialer Kraft in die Wand drosch, kam er kurz drauf, von Isabellas Schlag getrieben, wieder zurückgesprungen. Schließlich löste er sich aus dem Verbund, und polterte auf den Boden.

Durch die Lücke konnte Mathias Isabellas Gesicht sehen. Trotz des Schmutzes war sie kreidebleich, und sagte kein Wort. Sie hatte den Helm verloren, offenbar war sie auch irgendwo gegen gelaufen. Auf ihrer Stirn bildete sich eine große Beule, und ein dünner Blutfaden lief herab. Isabellas schlanker Körper passte gerade knapp durch das geschaffene Loch, Manfred reichte ihr die Hände, und zog sie heraus.

Als Isabella durch war, entzog sie sich ihm sofort, krabbelte auf allen vieren in die nächste Raumecke, und übergab sich mehrmals. Dann drehte sie sich um, und starrte Manfred an, blankes Entsetzen in ihren Augen.

"Wer bist du, oder besser was bist du?"

Ihre Beine gaben nach, und sie fiel in sich zusammen wie ein welkes Blatt. Hätte Mathias nicht zugegriffen und sie aufgefangen, wäre sie hart auf dem Steinboden aufgeschlagen.

"Milena? Was hat sie gesehen? Was haben meine Vorfahren hier unten getrieben?"

"Entschuldige, ich hätte dich vorwarnen können, aber dann hättest du sie eventuell nicht gehen lassen. Dein Onkel Kurt von Schwarzenburg hat alles so stehen lassen, wie er es vorgefunden hat. Er wollte von alledem nichts wissen, und es für immer einmauern. Isabella ist nicht dumm, sie hat sofort erkannt, wozu Opa Helmfrieds OP-Tisch in Wirklichkeit verwendet wurde. Leichen muss man nicht festbinden oder beatmen. Und den Wänden entlang stehen noch die Gläser mit konservierten Organen. Man braucht keine große Fantasie, um sich auszumalen, welche Gräueltaten in dem Raum begangen wurden. Am besten wird es sein, du schaffst sie hier raus."

Mathias lud sich die leichte Last von Isabellas Körper auf die Arme, und trug sie aus diesem schrecklichen Keller. Oben in der Halle traf er auf Sandra, die gerade, von einer inneren Unruhe getrieben, von draußen hereinkam.

"Was ist mit ihr?"

"Sie ist okay, sie hat sich nur geängstigt und irgendwo den Kopf gestoßen. Komm wir gehen nach oben und packen sie aufs Bett. Wir legen ihr ein nasses Handtuch auf, sie wird schnell wieder zu sich kommen."

"Was ist da unten?"

"Ich habe keine Ahnung."

"Mathias Schwarzenburg, lüg mich nicht an. Isabella kriecht durch Kanalrohre. Um sie umzuhauen, braucht es mehr als ein paar Spinnweben." Sandras Augen schleuderten Blitze. Wenn es um Isabella ging, kannte sie keinen Spaß.

"Ich weiß es ehrlich nicht, aber es gibt da Gerüchte. Lass uns Isabella versorgen, und ich erzähle dir das wenige, was ich weiß."

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Isabella lag immer noch weggetreten in Mathias Bett. Sandra wurde immer unruhiger.

"Das dauert mir zu lange. Meinst Du wirklich, es geht ihr gut?"

Mathias war sich auch nicht mehr so sicher.

"Milena?"

"Klar geht's ihr gut. Das bin ich. Ich halte sie noch ein wenig in einer Art Hypnose, damit du in aller Ruhe mit Sandra reden kannst. Glaub mir, sie träumt gerade etwas sehr Angenehmes."

"Milena, du bist ein Goldstück."

"Ich weiß, und jetzt mach was, Sandra wird gleich hysterisch."

Mathias nahm Sandra in den Arm, was sich diese sehr widerstrebend gefallen ließ. Immerhin tat ihr seine ruhige Nähe gut. Mathias begann zu reden, und erzählte ihr in groben Abrissen, was er bisher über seine Vorfahren erfahren hatte. Nicht alle grausigen Details, aber so viel, dass Sandra eine Ahnung davon bekam, worum es ging.

"Und wie weit zurück hast du geforscht?"

"Bisher bis zu meinem Großvater Helmfried."

"Der im Keller illegal Menschen seziert hat?"

"Ja, leider, und glaub mir, ich habe es auch erst gestern erfahren."

"Und jetzt?"

"Jetzt gehe ich in den Keller, und breche die Wand heraus. Ich will wissen, was dahinter ist. Bleibst du bei Isabella?"

"Ja klar, mach ich. Aber wenn sie in zehn Minuten nicht wieder wach ist, rufe ich den Notarzt."

"Milena?"

"Das ist schon okay, sobald du weg bist, übernehme ich die Kontrolle. Es wird alles gut werden, Geister-Ehrenwort."

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Mathias stieg wieder in den Keller hinunter, und schwang den Vorschlaghammer. Jetzt wo der erste Brocken aus der Wand geschlagen war, ging es recht zügig vorwärts. Stein um Stein löste sich aus der Mauer und polterte Mathias vor die Füße. Als er einen niedrigen Durchschlupf geschaffen hatte, der groß genug für ihn war, stellte er die schweißtreibende Arbeit ein. Er ließ sich auf die Knie sinken und leuchtete mit seiner Taschenlampe in den Raum hinter der Mauer.

Er kannte diesen Raum. Da waren die Hocker, das Waschbecken, und der Durchgang in den Operationssaal, wo sein Großvater Helmfried gewütet hatte. Sogar der eiserne Haken, an dem die Arztkittel gehangen hatten, rostete noch an seinem Platz vor sich hin.

Mathias kroch durch das Loch, und richtete sich dahinter wieder auf. Seine Nackenhaare sträubten sich. Die Mauern waren offenbar geschwängert von namenlosem Grauen, fast meinte er die unmenschlichen Schreie von Helmfrieds Opfern widerhallen zu hören. Sorgfältig alle Ecken ausleuchtend und in Erwartung, jeden Moment von einem blutgierigen Monster angesprungen zu werden, tastete er sich vorsichtig durch den Vorraum in Richtung des OPs vorwärts.

Der OP war noch genau so wie ihn Mathias in seinem Traum gesehen hatte. Jemand hatte wohl noch aufgeräumt, aber sonst war noch alles so vorhanden, wie er es in Erinnerung hatte. Die OP-Werkzeuge schön ordentlich aufgereiht, und nur wenig von Rost zerfressen. Daneben der große Blasebalg, dessen Leder freilich weggegammelt war. Mathias begutachtete die Luftschläuche, die man an die Lungen der Opfer angeklemmt hatte, und die Messingventile, durch welche die verbrauchte Luft wieder entweichen konnte. Mathias kam nicht umhin, die filigrane Arbeit an den Metallteilen zu bewundern, die selbst jetzt, nach siebzig Jahren, noch tadellos funktionierten. Auf seine Art war Helmfried ein Genie gewesen.

Mathias ließ seine Taschenlampe die Wände entlang wandern. Der Lichtschein huschte über lange Reihen von Regalen, in denen Präparate in einer honigfarbenen Flüssigkeit schwammen. Erstaunlich, dass sie so lange erhalten geblieben waren. Das Schlimme an den Präparaten war aber nicht ihre Existenz, sondern dass sie offensichtlich Organe zeigten, die zur Transplantation vorbereitet waren. Die Enden der großen Blutgefäße waren sorgfältig freigelegt, und mit stählernen Klemmen verschlossen, bereit an den Blutkreislauf des Empfängers angeschlossen zu werden. Ihnen war anzusehen, mit wie viel Sorgfalt und Liebe zum Detail Helmfried gearbeitet hatte. Die Gläser waren alle in akkurater Schrift etikettiert. Mathias las die Jahreszahlen, sie gingen zurück bis 1928. Helmfried hatte also schon lange vor dem Auftreten der Nazis an Menschen experimentiert. Er hatte lediglich, wie viele andere, die Möglichkeiten des Terror-Regimes genützt, als sie ihm angeboten wurden.

Vor dem Regal mit den Organen lag Isabellas Helm auf dem Boden, die Lampe noch eingeschaltet. Mathias knipste sie aus, und legte den Helm auf den OP-Tisch, damit er ihn später mit nach oben nehmen konnte.

Er verließ den OP mit seinem Gruselkabinett, und tastete sich weiter vor. Er kam an eine Abzweigung, wo er sich entscheiden musste. Er nahm aus dem einen Gang einen leichten Luftzug wahr, und schloss daraus, dass er sehr wahrscheinlich zum Krematorium führte, wo der Wind durch den Schornstein wehen konnte. Also nahm er den anderen Gang. Nach einigen Metern knickte er ab, und unmittelbar dahinter trat Mathias durch einen Türbogen, in dem verrottete Reste einer einstmals auffällig massiven Holztür in schiefen Angeln hingen.

Der Raum dahinter war in der Mitte durch ein solides Gitter getrennt, das den Jahren trotz massiven Rostbefalls getrotzt hatte. Davor, auf Mathias Seite, standen zwei alte, mottenzerfressene Sessel, an deren Gestellen noch Reste eines roten Bezugstoffs zu erkennen waren. Neben einem der Sessel war eine primitive Winde am Boden befestigt, auf der noch die Reste einer massiven Eisenkette aufgespult waren. Dahinter, an der Wand, lehnte eine alte und verstaubte aber sonst noch sehr gut erhaltene Armbrust.

Man konnte den vergitterten Raum durch eine eingelassene Türe betreten, ein urtümliches Vorhängeschloss baumelte lose in seiner Zuhaltung, und die Türe stand weit offen. In der Mitte der abgetrennten Raumhälfte befand sich ein Gestell aus stabilen Eisenträgern, in die eingebettet sich einst eine Art Plattform mit Rollen befunden haben musste. Ihre vermoderten Reste waren noch vorhanden, offensichtlich war sie einst mit demselben roten Bezugstoff wie die Stühle ausgestattet gewesen. Die genaue Funktion des Gestells erschloss sich Mathias nicht, aber es erinnerte ihn irgendwie an einen Altar, auf dem möglicherweise Opfer dargebracht wurden.

Mathias forschte weiter, und fand weiter hinten einen Durchgang in einen weiteren Raum. Der Anblick, der sich ihm bot, traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Sitzend an der Wand lehnte ein hünenhaftes Skelett. Um den Hals trug es immer noch einen eisernen Halsring mit nach innen gerichteten Stacheln. An einer Öse auf der hinteren Seite war das andere Ende der Kette befestigt. In der rechten Augenhöhle steckte ein langer Armbrustbolzen. Er hatte auf der Rückseite den massiven Schädel durchschlagen und stand jetzt einige Zentimeter frei in die Luft.

Rund herum lagen wild verstreut die vielfach gebrochenen Knochen eines kleineren Skeletts, auch ein eingedrückter Schädel ohne Nasenbein lag in einer Ecke.

"Milena? Mileeeeeena?"

"Ja, schrei nicht so. Ich bin gerade dabei, Isabella zu suggerieren daran zu glauben, dass das alles nur ein böser Traum war. Sandra habe ich schon überzeugt, sie denkt, es ist ihre Idee, und es ist besser für Isabellas geistige Gesundheit, was sehr wahrscheinlich auch stimmt.

"Was war hier los?"

"Setz dich irgendwo in eine Ecke, entspanne dich und ich werde es dir zeigen."

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